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Besser versichert. Gesünder sein.

"Wir brauchen strukturelle und insbesondere planbare Reformen"


Erstellt von:
Sabrina Schmidt
Veröffentlicht am:
20. Dezember 2024
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Interview mit Nicole Müller-Coonan - Vorständin der MAHLE BKK über die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)

 

Guten Tag Frau Müller-Coonan, Sie als MAHLE Betriebskrankenkasse mussten vor kurzem- wie viele andere Krankenkassen- Ihren Beitragssatz anheben. Für Ihre Versicherten stellen sich hierbei bestimmt einige Fragen zu den Beweggründen.
Ich freue mich, dass Sie sich daher heute die Zeit genommen haben, um über die aktuelle finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu sprechen. 

Wie würden Sie die aktuelle Situation der GKV beschreiben? 

Die finanzielle Situation der GKV ist derzeit äußerst angespannt. Wir stehen vor einem massiven Defizit, das durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht wurde. Für 2025 ist mit einer Finanzierungslücke von 13,8 Mrd. Euro zu rechnen. 
Ohne strukturelle Reformen wird diese Lücke nur schwer zu schließen sein und sich über die kommenden Jahre weiter vergrößern. 

Durch das Scheitern der Ampel-Koalition ist diese Situation nun noch prekärer. Ohne klare politische Führung bleibt die Frage der Weiterentwicklung der GKV offen, was zusätzliche Unsicherheiten schafft. Bereits jetzt kämpfen die Krankenkassen mit wachsenden Kosten und einem unausgeglichenen Finanzhaushalt. Nun ist kaum abschätzbar, wie sich die Rahmenbedingungen in den kommenden Monaten entwickeln werden, da politische Entscheidungen zur Stabilisierung und Reform der GKV weiter ausbleiben könnten. Die LAge bleibt angespannt und eine langfristige Lösung scheint vorerst in weiter Ferne. 

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptursachen für diese Entwicklung?

Es gibt mehrere Gründe. Zum einen erleben wir eine deutliche Alterung der Gesellschaft. Mit dem Älterwerden der Bevölkerung steigen auch die Gesundheitskosten, da ältere Menschen in der Regel mehr medizinische Versorgung benötigen. Hinzu kommen die rasant steigenden Preise für Arzneimittel und medizinische Innovationen. Besonders die Preise für neue, hochspezialisierte Medikamente und Therapien sind ein großer Kostentreiber.
Ein weiterer Faktor ist die Inflation. Viele Krankenhäuser, Arztpraxen und andere Leistungserbringer kämpfen mit gestiegenen Energiekosten und steigenden Personalkosten. Diese Kosten werden an uns, die Krankenkassen, weitergegeben. Die Pandemie hat die Situation zudem verschärft, da durch sie viele zusätzliche Kosten entstanden sind, etwa durch die Finanzierung von Corona-Tests, Impfungen und Behandlungen. 


Trotz des gestiegenen Beitragsaufkommens der letzten Jahre, wurden Beitragssätze der GKV besonders im letzten Jahr immer weiter angehoben. Wie erklären Sie dies?

Die finanziellen Rahmenbedingungen innerhalb der GKV haben sich in den letzten Jahren verändert. Zwar ist Beitragsaufkommen kontinuierlich gestiegen, was hauptsächlich auf die gute wirtschaftliche Lage und die steigenden Löhne zurückzuführen ist, dennoch reicht es mittlerweile nicht mehr aus, um die zeitgleich massiv steigenden Ausgaben zu decken. Dies führt dazu, dass die Beitragssätze der Krankenkassen angehoben werden müssen. Zusätzlich wurden die Krankenkassen 2020 und 2021 von der Regierung gezwungen, ihre Finanzreserven auf ein Minimum zu reduzieren, was heute zur Folge hat, dass kein Vermögen mehr vorhanden ist, um die momentan überproportional steigenden Kosten auszugleichen. Bei der MAHLE BKK sind die Kosten für Krankenhausbehandlungen oder Häusliche Krankenpflege um 20% gestiegen, was weit über den berechneten Prognosen liegt.

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Beitragseinnahmen zu stabilisieren oder zu erhöhen?

Wir setzen auf eine breite Mitgliederbasis und bemühen uns, durch attraktive Zusatzleistungen und ein gutes Kundenmanagement neue Mitglieder zu gewinnen und bestehende Mitglieder zu halten. Zudem optimieren wir unsere internen Prozesse kontinuierlich, um effizienter zu arbeiten. Ich persönlich engagiere mich zudem stark darin, Kooperationen mit anderen Betriebskrankenkassen zu knüpfen, um so zusätzliches Know-How zu gewinnen und Ressourcen zu bündeln. 

Haben Sie eine bestimmte Strategie, die die finanzielle Stabilität der MAHLE BKK auch langfristig sichern soll? 

Unsere Strategie umfasst eine Mischung aus Kostenkontrolle, Effizienzsteigerung und der Einführung innovativer Versorgungsmodelle. Wir investieren zudem in digitale Lösungen, die uns helfen, Verwaltungsprozesse zu optimieren und Kosten zu senken. Wir haben bereits mehrere Programme zur Kostenreduktion initiiert, darunter Präventionsprogramme, Disease-Management-Programme und Kooperationen mit Leistungserbringern, die eine Optimierung der Versorgung bewirken. Auch der Ausbau von telemedizinischen Angeboten spielt hierbei eine wichtige Rolle.

Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Kostendämpfung in der Vergangenheit?

Die bisherigen Maßnahmen zur Kostendämpfung waren zu vielen Teilen bereits erfolgreich. Insbesondere im Bereich der Prävention und der strukturierten Behandlungsprogramme konnten wir positive Effekte verzeichnen. Auch konnten wir Dienstleistungsverträge so anpassen, dass entweder durch Kündigung Gelder gespart werden konnten oder durch Optimierung eine effizientere Umsetzung von Arbeitsprozessen erfolgen konnte. 


Welche Forderungen richten Sie angesichts dieser finanziellen Herausforderungen an die Politik?

Wir fordern von der Politik in erster Linie eine nachhaltige und gerechte Finanzierung des Gesundheitssystems. Eine kurzfristige Erhöhung der Beiträge oder eine einmalige staatliche Finanzspritze wird nicht ausreichen. Wir brauchen strukturelle und insbesondere planbare Reformen. Dazu gehört, die Finanzierung der GKV auf eine breitere Basis zu stellen. 
Ein weiteres Augenmerk muss dringend auf der Pflege liegen. Die Pflegekosten steigen rasant, und ohne Reformen wird das Pflegeversicherungssystem ebenso wie die GKV an seine Grenzen stoßen. Bereits 2024 droht hier ein Liquiditätsproblem mit einem Defizit von 1,8 Mrd. Euro, welches 2025 auf bis zu 5,8 Mrd. Euro ansteigen kann. Die Pflege muss attraktiver werden, sowohl für die Pflegenden als auch für die Pflegebedürftigen, durch bessere Arbeitsbedingungen und finanzielle Absicherung.


Gibt es weitere Punkte, die Sie ansprechen möchten?

Ja, unbedingt. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Prävention. Wir müssen stärker in Gesundheitsvorsorge investieren, um langfristig Kosten zu senken. Krankheiten zu vermeiden oder frühzeitig zu erkennen, spart nicht nur Kosten, sondern steigert auch die Lebensqualität der Menschen. Hier muss die Politik Anreize schaffen und die Krankenkassen stärker unterstützen, Präventionsprogramme zu fördern.
Ein weiteres Problem ist die Verwaltung. Die Bürokratie im Gesundheitssystem ist immens. Hier besteht großes Einsparpotenzial, wenn Prozesse digitalisiert und vereinfacht werden. Das würde nicht nur uns, den Krankenkassen, helfen, sondern auch den Ärzten und Krankenhäusern die Arbeit erleichtern und letztlich den Patienten zugutekommen.


Abschließend: Wie optimistisch sind Sie, dass sich die finanzielle Lage der GKV in den nächsten Jahren verbessern wird?

Ich bin realistisch. Ohne tiefgreifende Reformen wird es schwierig, die finanzielle Situation der GKV nachhaltig zu verbessern. Die Herausforderungen sind groß, und es braucht den politischen Willen, mutige Entscheidungen zu treffen. Wenn wir gemeinsam - Politik, Krankenkassen, Leistungserbringer und Bürger - daran arbeiten, können wir das System stabilisieren und zukunftsfähig machen. Aber es ist klar: Der Status quo kann so nicht weiter bestehen. 


Ich möchte mich recht herzlich für Ihre Zeit und die vielen Antworten bedanken. Ich denke, dass Sie hiermit viele Fragen klären konnten. 

Sehr gerne. Ich möchte mich in diesem Zuge auch nochmals bei unseren Versicherten bedanken, die uns durch ihre Anfragen zur Anpassung des Beitragssatzes und den Hintergründen, dazu veranlasst haben dieses Interview zu führen. Wir möchten transparent darstellen, warum wir diesen Schritt gehen mussten und die offenen Fragen dadurch beantworten. 
Selbstverständlich sind wir auch persönlich für Sie ansprechbar. Melden Sie sich gerne bei uns!